Wie Antisemiten den Bondi-Beach-Massenmord zur Lüge umdeuten
Kaum waren die Schüsse verstummt, begann online eine zweite Welle des Hasses: Verschwörungstheorien, die das Massaker als „Inszenierung Israels“ darstellen. Ein Angriff auf die Wahrheit – und auf die Opfer.

Während die jüdische Gemeinschaft in Australien ihre Toten zählt und Verletzte noch um ihr Leben kämpfen, entfaltet sich in den sozialen Netzwerken eine perfide zweite Front. Anstelle von Trauer dominieren in bestimmten digitalen Echokammern antijüdische Verschwörungserzählungen. Der Terroranschlag am Bondi Beach, bei dem sechzehn Menschen während einer Chanukka-Feier ermordet wurden, wird dort als angebliches „False Flag“ bezeichnet – orchestriert, so heißt es, von Israel selbst.
Dass solche Behauptungen keinerlei Grundlage haben, spielt in diesen Kreisen keine Rolle. Entscheidend ist nicht die Realität, sondern die Konstruktion einer Welt, in der Juden grundsätzlich Täter sein müssen – selbst dann, wenn sie ermordet werden. Es ist dieselbe Logik, die nach dem 7. Oktober aus den Mündern von Extremisten zu hören war: Antisemitismus tarnt sich nicht mehr, er tritt selbstbewusst auf und nutzt jede Tragödie, um sich weiter auszubreiten.
In einschlägigen Foren und auf Plattformen wie X und Reddit sammeln sich inzwischen hunderttausende Aufrufe für Beiträge, die den Angriff als israelische Geheimdienstoperation bezeichnen. Die Mossad habe die Täter gesteuert, heißt es dort. Die Opfer seien „Krisendarsteller“. Einer der Attentäter sei „eigentlich ein IDF-Soldat“. Dass die Täter identifiziert wurden, dass einer von ihnen seit Jahren den Sicherheitsdiensten wegen Verbindungen zum Islamischen Staat bekannt war, dass die Waffen und Sprengsätze am Tatort gesichert wurden – all diese Fakten verschwinden im Sog der antisemitischen Fantasie.
Besonders aggressiv tritt eine Gruppe auf, die behauptet, Israel habe „Sympathie erzeugen“ oder „einen Krieg gegen Iran vorbereiten“ wollen. Die Logik ist alt: Juden würden Ereignisse manipulieren, um Weltpolitik zu beeinflussen. Genau dieses Muster findet sich seit Jahrhunderten in antisemitischen Pamphleten. Heute wird es in Memes gegossen, neu verpackt und millionenfach geteilt.
Einige der prominentesten Verschwörungserzähler gehen sogar weiter und behaupten, die Angreifer hätten eine „militärische Ausbildung wie israelische Soldaten“ gezeigt – als ob das Morden geübter Terroristen ein Beweis für irgendeine israelische Beteiligung wäre. Andere identifizierten den verwundeten Menschenrechtsanwalt Arsen Ostrovsky, der zufällig zu den Teilnehmern der Feier gehörte, als „Beweis“ für eine angebliche Inszenierung. Dass er schwer verletzt überlebte, zählt in dieser Logik nicht. Für Radikale ist schon die Existenz eines jüdischen Aktivisten ein Anlass, die Opfer selbst unter Verdacht zu stellen.
Der vielleicht gefährlichste Aspekt dieser Entwicklung ist die Geschwindigkeit, mit der sich solche Erzählungen verbreiten. Kaum eine Stunde nach dem Anschlag wirkten manche der Postings wie vorbereitet – als warteten ihre Autoren nur auf das nächste Blutbad, um es sofort gegen Juden zu wenden. Einige Nutzer präsentierten sogar gefälschte „Hinweise auf Vorwissen“, indem sie Google-Trends-Grafiken manipulierten oder zeitliche Zusammenhänge konstruierten, die einer Überprüfung nicht standhalten.
Was hier sichtbar wird, ist ein globales Muster: Terroranschläge auf Juden werden zunehmend nicht nur physisch, sondern auch digital fortgesetzt. Die Opfer werden ein zweites Mal entmenschlicht – diesmal in Kommentaren, Posts und Memes, die sie ihrer Realität, ihrer Würde, ja sogar ihres Todes berauben. Die Mörder bekommen durch die Hände anderer eine neue Bühne.
Diese digitale Brutalität ist kein Nebenschauplatz. Sie ist Teil des Problems. Denn sie sorgt dafür, dass gesellschaftliche Trauer gar nicht erst entstehen kann. Statt Solidarität werden Zweifel gestreut, statt Empathie Verdächtigungen, statt Verantwortung zu übernehmen werden Schuldzuweisungen an die Opfer produziert. Es ist die klassische Architektur des Antisemitismus: das Verschieben der Perspektive, bis Täter zu Werkzeugen und Opfer zu Verschwörern erklärt werden.
Die Aufgabe demokratischer Gesellschaften ist es, dieser Verdrehung die Stirn zu bieten – nicht nur aus Respekt vor den Ermordeten, sondern auch aus Verantwortung für die Zukunft. Wo Wahrheit verhandelbar wird, wird Sicherheit brüchig. Und dort, wo Juden nicht einmal mehr um ihre Toten trauern dürfen, ohne verdächtigt zu werden, ist ein moralischer Kipppunkt erreicht.
Die Realität des Bondi-Beach-Massakers ist eindeutig. Sie wurde dokumentiert, bezeugt, ermittelt. Dass manche dennoch die Lüge wählen, sagt nichts über die Fakten aus – aber viel über den Zustand einer digitalen Öffentlichkeit, in der antisemitische Muster längst wieder salonfähig geworden sind.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot X
Artikel veröffentlicht am: Montag, 15. Dezember 2025