Was Israel vom Sieg über die Tamil Tigers lernen kann – und warum es kaum jemand aussprechen will


Der Kampf gegen Hamas erinnert auf brutale Weise an Sri Lankas Krieg gegen die Tamil Tigers – doch das westliche Schweigen über diesen „Sieg“ sagt mehr über die Realität internationaler Moral als jede Menschenrechtskonferenz.

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Die Forderung, Hamas zu zerschlagen und ihre Herrschaft im Gazastreifen dauerhaft zu beenden, klingt einleuchtend – zumindest für Israel. Doch in einer Welt, in der humanitäre Standards als politische Waffe eingesetzt werden, erscheint das Ziel einer „totalen Vernichtung“ terroristischer Organisationen oft wie eine naive Wunschvorstellung. Genau hier setzt die Analyse von Oberst a.D. Dr. Moshe Elad an, der im Interview mit Maariv einen selten ausgesprochenen Vergleich zieht: Israel könnte von Sri Lankas brutaler, aber erfolgreichen Zerschlagung der Tamil Tigers lernen. Nur – will das irgendjemand?

Vier Beispiele kennt die Geschichtsschreibung, in denen Terrorgruppen tatsächlich nachhaltig besiegt wurden: Die Schwarzhunderter im zaristischen Russland, die maoistischen Leuchtenden Pfade in Peru, die RAF in Deutschland und die IRA in Nordirland. Doch Elad nennt ein fünftes – das wohl kompromissloseste Beispiel: Sri Lanka und der vollständige Sieg über die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), besser bekannt als Tamil Tigers.

Von 1983 bis 2009 führte die LTTE einen unerbittlichen Krieg für einen eigenen tamilischen Staat im Norden und Osten Sri Lankas. Sie perfektionierten Selbstmordanschläge – sogar mit Frauen und Kindern –, rekrutierten Kindersoldaten und töteten politische Gegner. Doch 2009 war der Spuk vorbei. Die Gruppe wurde nicht zurückgedrängt. Sie wurde ausgelöscht.

Was war das Erfolgsrezept? Eine Strategie, die in Europa zu diplomatischen Krisen führen würde.

Unter Präsident Mahinda Rajapaksa änderte Sri Lanka ab 2005 seine Taktik radikal. Verhandlungen wurden eingestellt, Diplomatie zur Waffe gemacht. Das Land mobilisierte massiv: Zehntausende Soldaten, modernste Waffen, Operationen auf mehreren Fronten. Im Hintergrund: ein weltweites Netzwerk zur Unterbindung der Diaspora-Finanzierung, insbesondere in Kanada, Großbritannien und Skandinavien. Gleichzeitig wurde Desinformation eingesetzt, um Misstrauen zwischen Zivilbevölkerung und LTTE zu säen. Spione, Überläufer, psychologische Kriegsführung.

Doch all das war nur der Vorlauf. Der finale Schlag war militärisch – und gnadenlos.

Zwischen Januar und Mai 2009 sollen laut UN bis zu 70.000 Zivilisten ums Leben gekommen sein, viele davon in eigens eingerichteten „Sicherheitszonen“, die dennoch bombardiert wurden. Krankenhäuser wurden getroffen, Journalisten ausgeschlossen, Zeugen mundtot gemacht oder verbannt. Amnesty International und Human Rights Watch sprachen von systematischen Kriegsverbrechen. Und doch blieb der internationale Aufschrei aus.

Warum? Weil die Tamil Tigers so verhasst waren wie Hamas heute.

Die LTTE hatte sich weltweit selbst delegitimiert: durch den Einsatz von Kindersoldaten, durch Bombenanschläge in Indien, durch brutale Erpressung in Exilgemeinden. Sie galten – wie Hamas heute – als Inbegriff des blutigen Fanatismus. Auch die moralische Grauzone war ähnlich: Wie Hamas nutzten auch die Tamil Tigers Zivilisten als Schutzschilde, stationierten Kämpfer in Schulen und Krankenhäusern.

Die sri-lankische Regierung bestritt bis zuletzt die hohen Opferzahlen – und konnte sich darauf verlassen, dass die Welt nicht genau hinsehen wollte. Die westliche Staatengemeinschaft, desillusioniert nach den Katastrophen im Irak und in Afghanistan, hatte kein Interesse an einem neuen moralischen Minenfeld. Sri Lankas Lage am strategisch wichtigen Indischen Ozean und die wachsende Nähe zu China taten ihr Übriges.

Und heute? Nichts ist von der LTTE geblieben. Kein bewaffneter Widerstand, kein Wiederaufleben der Bewegung. Der Sieg war total – und wurde mit moralischer Erpressung erkauft.

Moshe Elad bringt es auf den Punkt: „Ohne Obersten Gerichtshof und B’Tselem – auf Sri Lanka-Art.“ Gemeint ist: ohne innenpolitische Kontrollinstanzen, ohne humanitären Rechtfertigungsdruck, ohne jeden Respekt vor internationaler Kritik. Es war ein Sieg, der für Israel völlig unmöglich scheint – nicht militärisch, sondern politisch.

Denn Israel agiert unter permanenter internationaler Beobachtung. Jeder Schritt wird in UN-Gremien verurteilt, jeder Angriff auf Hamas-Kommandeure in Krankenhäusern als Kriegsverbrechen gebrandmarkt. Die öffentliche Debatte im Westen – vor allem in Europa – folgt einer Logik, die selbst den Verteidiger zur moralischen Bedrohung erklärt.

Das paradoxe Resultat: Israel darf sich verteidigen – aber nicht gewinnen.

Der Vergleich mit Sri Lanka macht schmerzlich deutlich, wie selektiv der Westen mit seinen moralischen Standards umgeht. Ein Sieg über eine Terrororganisation ist offenbar dann akzeptabel, wenn er außerhalb des westlichen Diskurses geschieht – oder wenn der Gegner „böse genug“ ist, um jedes Mittel zu rechtfertigen. Sri Lanka bekam seinen „totalen Sieg“ – und einen Platz auf der geopolitischen Gleichgültigkeitsliste. Israel dagegen wird selbst in der Verteidigung zum Angeklagten.

Was also lernen aus Sri Lanka? Nicht die Methoden. Nicht das moralische Abstumpfen. Aber das Verständnis, dass der „Kampf gegen Terrorismus“ ein politisches Konstrukt ist, kein universelles Prinzip. Wer ihn gewinnen will, muss die Regeln verstehen – oder sie ignorieren. In Sri Lanka wurden sie ignoriert. Und der Terror war vorbei.

Israel kann – und will – diesen Weg nicht gehen. Aber es sollte sich auch nicht länger vormachen, dass sich der Sieg gegen eine Organisation wie Hamas innerhalb westlicher Doppelmoral erringen lässt. Wer das behauptet, belügt sich selbst. Und das hat noch nie zum Frieden geführt.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von marietta amarcord aus italy - Flickr, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1973188

Artikel veröffentlicht am: Mittwoch, 21. Mai 2025

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