Vom Hoffnungsträger zum Alptraum: Wie Ahmad al-Shara Syrien in ein islamistisches Dunkel stürzt
Die Machtübernahme von Ahmad al-Shara, bekannt als Julani, weckte Hoffnungen auf Wandel in Syrien. Heute sind viele dieser Erwartungen in bitterer Enttäuschung erstickt. Was bleibt, ist ein repressives islamistisches Regime – und die stille Sehnsucht vieler Syrer nach Frieden mit Israel.

Vor acht Monaten sprach man in den Straßen von Damaskus mit gedämpfter Hoffnung. Die Panzer der Rebellen rollten ein, Diktator Assad war verschwunden – und an seiner Stelle trat eine neue Ordnung, geführt vom ehemaligen Dschihadisten Ahmad al-Shara, besser bekannt als Julani. Für viele war es ein Wendepunkt. Schluss mit den Fassbomben, Schluss mit den Geheimdiensten. Stattdessen: ein Aufbruch, neue Chancen, ein Syrien ohne Diktatur. Doch die Realität, die sich heute durch die staubigen Gassen der Hauptstadt zieht, ist ernüchternd – ja, düster.
Julani, einst Anführer der Al-Nusra-Front, hat sich nicht verwandelt. Er hat sich nur enttarnt. Sein neues Syrien ist keine offene Gesellschaft, kein pluralistischer Staat, sondern ein repressives Regime mit islamistischer Prägung. In den christlichen Vierteln rufen Prediger zur Konversion auf. In den Universitäten werden junge Frauen zum Niqab gezwungen, im Stil des sogenannten IS. Die wenigen verbliebenen Freiheiten – sie sind Vergangenheit.
Ein Insider, der für ein westliches Medium aus Damaskus berichtet, schildert die neue Realität mit bedrückender Klarheit. „Wir haben auf Sicherheit gehofft, auf Ruhe. Was wir bekommen haben, sind Analphabeten als Polizisten und Richter, die nie ein Jurastudium gesehen haben – aber treue Kämpfer Julanis sind.“ Er übermittelt Fotos aus den Straßen der Hauptstadt, die das Bild einer verängstigten, eingeschüchterten Bevölkerung zeichnen. „Es ist, als sei die Hauptstadt auf einen Schlag ins 13. Jahrhundert zurückversetzt worden.“
Und die Angst sitzt tief – nicht nur bei den religiösen Minderheiten. Die Alawiten, einst Rückgrat des alten Machtapparats, werden enteignet, aus ihren Häusern vertrieben. „In ihren Wohnungen leben jetzt Tschetschenen, Uiguren, fremde Söldner“, erzählt der Journalist. Julani soll 3.500 ausländische Kämpfer in die sogenannte Division 84 des neuen syrischen Militärs eingegliedert haben. Die Botschaft ist klar: Dies ist kein syrisches Projekt. Dies ist die Expansion eines Kalifats unter neuem Namen.
In Israel und im Westen hatte man lange gezögert, das neue Regime in Damaskus zu bewerten. Zu frisch war der Sturz Assads, zu ungewiss die Zukunft. Doch inzwischen verdichten sich die Hinweise: Julani führt Syrien nicht in Richtung Stabilität – sondern in eine neue Form des Autoritarismus, diesmal mit religiösem Fundamentalismus als Dogma. Der bisher säkulare Charakter vieler syrischer Städte wird systematisch ausgelöscht.
Und doch: Nicht alle Stimmen in Damaskus schweigen. Eine Frau tritt vor die Kamera, unter Lebensgefahr. Ihre Botschaft: „Die, die hier regieren, sind primitive Fanatiker. Alle meine Freunde – wir wollen Frieden mit Israel. Wir wollen ein normales Leben.“ Auch ein Busfahrer äußert sich. Früher habe er unter israelischer Kontrolle gelebt – und es sei besser gewesen. „Dort konnten wir reisen. Der israelische Soldat behandelte uns menschlich. Der syrische Staat hat mich an die Grenze gekettet.“
Solche Aussagen wären vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Heute hört man sie nicht nur in den Grenzdörfern zwischen Golanhöhen und Damaskus, sondern auch in der Hauptstadt selbst. Während Julani nach innen mit eiserner Hand herrscht, mehren sich außenpolitisch Anzeichen eines pragmatischeren Kurses. Treffen zwischen syrischen und israelischen Vertretern sollen bereits in Aserbaidschan stattgefunden haben. Julani selbst habe einen israelischen Gesandten empfangen, heißt es.
Für viele Syrer scheint sich ein Paradoxon zu erfüllen: Je repressiver das Regime im Inneren wird, desto stärker wird die Hoffnung auf eine Öffnung nach außen. Die Vorstellung eines Friedens mit Israel, die lange tabu war, ist auf einmal nicht mehr unsagbar. Im Gegenteil: Sie wird zum letzten Strohhalm einer Gesellschaft, die sich nach Normalität, Reisefreiheit und wirtschaftlichem Überleben sehnt.
Der renommierte Politologe Prof. Eli Podeh von der Hebräischen Universität Jerusalem dämpft die Euphorie: Ein umfassender Friedensvertrag nach dem Vorbild der Abraham-Abkommen sei noch weit entfernt. „Die Frage der Golanhöhen ist nicht geklärt, ebenso wenig die Legitimität des neuen Regimes.“ Doch die Tatsache, dass solche Gespräche überhaupt stattfinden, ist ein Bruch mit Jahrzehnten der Feindschaft – und eine Reaktion auf die bittere Realität in Syrien selbst.
Denn Julanis Islamismus stößt nicht nur den Westen ab – er kollidiert mit der kulturellen DNA vieler Syrer, die sich ihrer säkularen, pluralistischen Identität nicht berauben lassen wollen. Was als Revolution gegen ein brutales Regime begann, endet für viele in neuer Unterdrückung. Und diesmal lautet die Repression nicht Baath-Partei – sondern Scharia.
Was bleibt, ist die erschütternde Bilanz eines syrischen Beobachters, der anonym bleiben muss: „Wir haben für Freiheit gekämpft. Und bekommen stattdessen einen neuen Schleier der Finsternis übergestülpt. Wenn uns jetzt noch jemand hört – dann bitten wir nur um eines: lasst uns nicht allein.“
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Presidency of the Syrian Arab Republic - Presidency of the Syrian Arab Republic, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=169222003
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 17. Juli 2025