Taktischer Rückzug statt echter Bruch: Warum der Schritt von Schas Netanjahus Koalition sogar stabilisieren könnte


Ein Rücktritt aus der Regierung – aber kein Bruch mit der Macht. Die Schas-Partei verlässt offiziell die Regierung, bleibt jedoch Teil der Koalition. Ein Schritt, der weniger Krise als Kalkül erkennen lässt.

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Während der Abgang von „Vereinigtes Thora-Judentum“ aus der Regierung noch als Erschütterung der politischen Statik gewertet wurde, sorgt der Schritt von Schas jetzt für eine paradoxe Stabilisierung der Lage. Denn auch wenn die ultraorthodoxe Partei am Dienstagabend ihren Rückzug aus der Regierung erklärte, handelt es sich nicht um eine vollständige Abkehr. Die Abgeordneten behalten ihre Funktionen in der Koalition und in den Ausschüssen – und das dürfte den Handlungsspielraum der Regierung in den verbleibenden Tagen vor der Sommerpause entscheidend sichern.

Krise ohne Kontrollverlust

Seit dem Streit um die Wehrpflichtregelung für Jeschiwa-Studenten boykottieren die ultraorthodoxen Fraktionen Teile der Koalitionsarbeit. Gesetzentwürfe wurden aus der Knesset-Agenda gestrichen, die Arbeit der Regierung blockiert – wenn auch mit Vorsicht. Auffällig: Keine der Oppositionsinitiativen zur Abwahl oder zum Misstrauensvotum wurde bislang von den Haredim unterstützt.

Schas bleibt dieser Linie treu. Die Partei betont, sie wolle nicht zum „linken Lager“ überlaufen. Das bedeutet: Auch ohne Regierungsämter wird sie der Koalition nicht aktiv schaden – zumindest nicht vor der Knessetpause in der kommenden Woche. In der Praxis heißt das: Die Koalition bleibt abstimmungsfähig, auch wenn sie angeschlagen wirkt.

Machtzentrum Ausschussarbeit

Besonders deutlich zeigt sich der taktische Charakter dieses „halben Rücktritts“ in den Parlamentsausschüssen. Während die Abgeordneten von Vereinigtes Thora-Judentum dort ihre Ämter niedergelegt haben, behalten die Vertreter von Schas ihre Posten.

So bleibt MK Josef Taieb Vorsitzender des Bildungsausschusses, Jonathan Mischraki führt weiterhin den Gesundheitsausschuss. Auch in der mächtigen Knessetkommission – zuständig für Immunitätsfragen, Geschäftsordnungen und Ausschusszusammensetzungen – bleibt Schas präsent. Damit ist der Koalition ein strategischer Hebel erhalten geblieben.

Ein Beispiel: Als es darum ging, einen Nachfolger für Mosche Gafni an der Spitze des Finanzausschusses zu bestimmen, hätte Schas den Vorschlag des Koalitionschefs Ofir Katz blockieren können – entschied sich jedoch dagegen. Das war keine Nebensache. Ohne Schas hätte es in der Kommission ein Patt zwischen Opposition und Koalition gegeben. Mit Schas bleibt die Mehrheit erhalten.

Posten, Personal und politischer Druck

Der Rückzug von Schas hat aber auch direkte Folgen für die Ressortverteilung innerhalb der Regierung. Bislang hält die Partei gleich fünf Ministerien – darunter Gesundheit, Inneres, Arbeit, Soziales und religiöse Angelegenheiten. All diese Posten werden nun vakant oder müssen intern neu verteilt werden.

Das öffnet Spielräume: Einige Abgeordnete aus anderen Koalitionsparteien könnten durch neue Aufgaben besänftigt oder eingebunden werden. Gleichzeitig gibt es Spekulationen, ob etwa Juli Edelstein – bislang Vorsitzender des außen- und sicherheitspolitischen Ausschusses – durch ein Ministeramt zum Rücktritt bewegt werden könnte, um dort einen loyaleren Vertreter zu installieren. Dass Edelstein allerdings freiwillig weicht, gilt als unwahrscheinlich.

Ein anderer Effekt wäre fiskalischer Natur: Wird auf die Neubesetzung der Ministerposten verzichtet, könnte die Regierung ihre Ausgabenstruktur verschlanken. Weniger Minister bedeuten weniger Personal, weniger Verwaltung, weniger Kosten – ein nicht unerheblicher Faktor angesichts wachsender Kritik am aufgeblähten Regierungsapparat.

Keine Annäherung an die Opposition – noch nicht

Was Schas mit seinem Schritt vor allem signalisiert: Diese Partei will nicht verantwortlich gemacht werden, wenn das Kartenhaus zusammenfällt. Sie steigt symbolisch aus, bleibt aber faktisch Teil des Machtapparats. Und sie lässt sich die Option offen, zu einem späteren Zeitpunkt doch noch andere Wege zu gehen – ohne sich jetzt festzulegen.

Für die Koalition ist das ein taktischer Gewinn. Für die Opposition ein Rückschlag. Und für Premier Netanjahu ein Spiel auf Zeit, das er – vorerst – nicht verliert.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: Screenshot

Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 17. Juli 2025

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