Risiko Leben – Warum Israel beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen den schmalen Grat wagt


Ein kühner Plan: Israel will medizinische KI in einem „Regulierungssandkasten“ testen – zwischen Innovation und Lebensgefahr.

haOlam-News.de - Nachrichten aus Israel, Deutschland und der Welt.

Israel gilt längst als ein Zentrum medizinischer Innovation – Hightech trifft auf ein exzellentes Gesundheitssystem, Forschung auf Risikobereitschaft. Doch was die israelische Regierung nun wagt, geht über alles hinaus, was bisher denkbar war: Gemeinsam mit der Innovationsbehörde hat das Gesundheitsministerium angekündigt, einen sogenannten „regulatorischen Sandkasten“ für Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen schaffen zu wollen. Klingt technisch. Ist aber ein politisches und ethisches Wagnis mit enormer Tragweite.

Denn was hier erprobt werden soll, ist mehr als ein digitales Diagnose-Tool: Es geht um Systeme, die medizinische Aufgaben ganz oder teilweise automatisieren – in einer Umgebung, die zwar staatlich überwacht, aber bewusst nicht vollständig reguliert ist. So soll Innovation ermöglicht werden, bevor starre Gesetze eingreifen. Doch der Preis könnte hoch sein.

Was ein „regulatorischer Sandkasten“ wirklich bedeutet

Die Idee stammt aus der Finanzwelt – dort dürfen Start-ups unter Aufsicht Produkte testen, ohne alle Regeln sofort erfüllen zu müssen. Das Ergebnis: Mehr Wettbewerb, kürzere Markteinführungszeiten, Investoreninteresse. Auch in über 100 Ländern wird dieses Modell mittlerweile genutzt – nicht nur für Finanzen, sondern auch für Energie, Bildung und zunehmend: Künstliche Intelligenz.

Die neue EU-Verordnung zur KI verpflichtet jedes Mitgliedsland, mindestens einen solchen Sandkasten einzurichten. Israel – nicht Mitglied, aber technologisch meist ein Schritt voraus – zieht nun nach. Und wählt mit der Medizin gleich das sensibelste Feld.

Doch gerade weil hier Menschenleben berührt werden, sind die Anforderungen ungleich höher. Es geht um Datenschutz. Um diagnostische Genauigkeit. Um die Frage, ob eine Maschine einen Arzt ersetzen darf – und unter welchen Bedingungen. Und letztlich auch um Vertrauen.

Innovation braucht Grenzen – gerade wenn es um Leben geht

Die israelische Juristin Ruth Plato-Shinar, die sich in einem aktuellen Fachbeitrag (auf Hebräisch) ausführlich mit dem Thema beschäftigt, warnt: Wer solche Sandkästen verantwortungsvoll gestalten will, braucht Ressourcen, Expertise und Weitblick. Schon in der Finanzwelt sei es aufwendig, jedes Unternehmen individuell zu begleiten. In der Medizin jedoch gehe es nicht um Geld, sondern um Gesundheit – und damit um potenziell irreversible Folgen.

Denn medizinische KI ist keine Software, die Rechnungen verwaltet oder Aktienkurse analysiert. Sie greift in klinische Entscheidungen ein: Welche Therapie ist sinnvoll? Ist eine Operation notwendig? Wie wird ein Tumor klassifiziert? Schon kleinste Fehler – oder diskriminierende Datensätze – können dramatische Auswirkungen haben.

Deshalb müssen Regulierungsbehörden in diesem Bereich nicht nur technisches, sondern medizinisches und ethisches Know-how aufbauen. Und sie müssen das Vertrauen der Öffentlichkeit gewinnen – in einer Zeit, in der viele ohnehin verunsichert auf KI blicken.

Israel zwischen Pioniergeist und Vorsicht

Dennoch: Der Ansatz hat Potenzial. Gerade in einem Land wie Israel, das über erstklassige Forschungseinrichtungen, ein universales Gesundheitssystem und eine agile Innovationsszene verfügt. Wenn es gelingt, Standards zu setzen, Patientenschutz ernst zu nehmen und gleichzeitig neue Wege zu eröffnen, könnte Israel weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

Aber der Erfolg hängt von der Balance ab. Ein „zu viel“ an Regulierung erstickt Innovation – ein „zu wenig“ kann Leben gefährden. Es braucht transparente Kriterien, klare ethische Leitlinien und ein System, das Fehler nicht nur korrigiert, sondern vorausschauend verhindert.

Und vor allem: Es braucht die Bereitschaft, die öffentliche Debatte zu führen. Denn ob wir wollen, dass KI über Leben und Tod mitentscheidet, darf keine Frage technischer Machbarkeit bleiben. Es ist eine gesellschaftliche Entscheidung – und sie gehört nicht nur in Ministerien, sondern auch in Kliniken, Parlamente und Wohnzimmer.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: Symbolbild Pixabay

Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 8. Juli 2025

Waren diese Infos wertvoll für Sie?

Sie können uns Danke sagen. Geben Sie einen beliebigen Betrag zurück und zeigen Sie damit, wie viel Ihnen der Inhalt wert ist.



Unterstütze unabhängigen Journalismus

haOlam ist ein rein privates Projekt – unabhängig, engagiert und ohne große Mittel. Wenn dir unsere Arbeit wichtig ist, freuen wir uns über jede Unterstützung. Für unsere Bankverbindung schreib uns gern eine E-Mail an redaktion@haolam.de.

Newsletter