Soleimanis Schatten verblasst: Warum Irans Stellvertreterarmeen versagt haben
Teherans einst so schlagkräftiges Machtmodell ist an seiner eigenen Realität gescheitert – und offenbar nicht mehr zur gemeinsamen Front fähig

Die islamische Republik Iran setzte über Jahrzehnte auf drei Säulen zur Machtsicherung und Expansion im Nahen Osten: das Atomprogramm, das Arsenal ballistischer Raketen – und ein Netzwerk aus politischen und militärischen Stellvertreterorganisationen. Letzteres galt als besonders wirksam. Es war das Projekt von Qassem Soleimani, dem legendären Kommandeur der Quds-Brigaden, der die Idee perfektionierte, dass sich Staaten durch kontrollierte „Deep States“ von innen heraus dominieren lassen. Doch das Modell zeigt in den aktuellen Konflikten eklatante Risse – und möglicherweise das Ende eines lange erfolgreichen Systems.
In den letzten zwölf Tagen des Iran-Israel-Krieges hat sich gezeigt, wie begrenzt Irans militärische Optionen geworden sind. Teile des Atomprogramms wurden bei israelischen Luftschlägen beschädigt, auch Raketenbasen litten. Doch es ist der dritte Pfeiler – die Proxies –, der Iran in besonderer Weise im Stich lässt. Und das liegt nicht an militärischer Schwäche, sondern an einem strategischen Denkfehler, der nun offen zutage tritt.
Der Irrtum im Herzen der Strategie
Soleimanis Plan war einfach und – auf dem Papier – genial: In fragilen oder autoritär geführten Staaten sollten schlagkräftige Organisationen etabliert oder übernommen werden, die militärisch und politisch operieren können – jedoch vollständig an Teheran gebunden bleiben. Diese Strukturen – vom Libanon über Gaza bis nach Syrien, Irak und Jemen – sollten mehr Einfluss als die jeweiligen Regierungen erhalten, aber nicht autonom handeln. Der Iran wollte auf diese Weise eine Art Schattenmacht etablieren, die bei Bedarf schlagartig und koordiniert handeln kann – auch gegen Israel.
Und jahrelang funktionierte das Modell: Die Hisbollah zwang Israel 2000 zum Rückzug aus dem Libanon, Hamas übernahm Gaza, schiitische Milizen dominierten den Irak nach dem Zerfall der ISIS, in Syrien hielten iranische Kämpfer Assad an der Macht, und im Jemen kontrollierten die Huthi-Milizen die Hauptstadt Sanaa. Alles schien nach Plan zu verlaufen.
Bis zum 7. Oktober 2023.
Wenn Loyalitäten kollidieren
Die Terrorangriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober kamen ohne Rücksprache mit Teheran – so zumindest der aktuelle Erkenntnisstand. Hamas nutzte iranisches Know-how und Waffen, aber entschied selbstständig über Zeit und Form des Angriffs. Die Erwartung: Die anderen Iran-nahen Gruppen würden folgen.
Doch genau das geschah nicht. Die Reaktionen der Proxies waren zögerlich, unkoordiniert, bruchstückhaft. Keine gemeinsame Strategie, keine echte Allianz, kein einheitliches Kommando. Stattdessen: einzelne Angriffe, symbolische Drohgebärden, leere Drohnenstarts – ohne entscheidende Wirkung. Israel konnte jeden Gegner einzeln ins Visier nehmen und zuschlagen.
Spätestens nach dem israelischen Vergeltungsschlag auf iranisches Territorium vor zwei Wochen erwartete man ein Aufbegehren. Ein Zeichen der Vergeltung. Einen Schulterschluss. Doch nichts davon trat ein.
Der Moment der Wahrheit
Weder Hisbollah noch die schiitischen Milizen im Irak noch die Huthis in Jemen griffen militärisch ernsthaft ein. Warum? Weil sie längst eigene Interessen, Vermögen, Machtzentren entwickelt haben – und nicht bereit sind, diese auf dem Altar iranischer Ideologie zu opfern. Der Libanon steht wirtschaftlich am Abgrund, die Bevölkerung hat keine Geduld mehr mit Kriegen „für Iran“. Selbst in den Reihen der schiitischen Amal-Bewegung wuchs der Widerstand gegen einen neuen Krieg mit Israel. Im Irak war es der einflussreiche Moqtada al-Sadr, der zum Rückzug mahnte – aus Kalkül, nicht aus Solidarität.
Soleimanis großer Fehler war die Annahme, dass religiöse oder ideologische Bindungen stärker seien als lokale Interessen. Dass Hisbollah, Hamas, Huthis und Co. wie Glieder eines einzigen Körpers funktionieren würden – mit Teheran als Kopf. Doch im Ernstfall handelten sie wie souveräne Akteure – oder wie Unternehmen, die ihre Investitionen nicht gefährden wollten.
Der Vergleich mit früheren historischen Allianzen drängt sich auf: Die sozialistischen Parteien Europas wollten 1914 gemeinsam den Krieg verhindern – und marschierten dann jeweils für ihre Nationalstaaten. Die kommunistische Welt zerbrach nicht an äußeren Feinden, sondern an innerem Nationalismus. Auch Irans schiitische Internationale scheint an Grenzen gestoßen, die nicht militärischer, sondern struktureller Natur sind.
Eine Allianz ohne Zentrum
Das bedeutet nicht, dass Irans Stellvertreternetzwerk zerstört ist. Die Hisbollah bleibt eine Macht im Libanon, Hamas hat Gaza trotz immenser Verluste nicht völlig verloren, die Huthis kontrollieren weiter weite Teile Jemens. Aber sie alle verfolgen längst ihre eigenen Ziele – und handeln taktisch, nicht im Gleichschritt mit Iran. Die Idee eines schlagkräftigen, disziplinierten „Gegen-NATO“, geführt aus Teheran, ist in der Realität nicht umsetzbar. Sie scheitert an Egoismus, Politik, Machtkalkül – und daran, dass nicht jede Gruppe bereit ist, für den Iran den eigenen Untergang zu riskieren.
Was bleibt, ist ein Machtverlust durch Enttäuschung. Denn der Moment, in dem Iran das volle Potenzial seiner Allianzen hätte abrufen können – der Moment, in dem das Gleichgewicht im Nahen Osten hätte kippen können –, wurde nicht genutzt. Und er wird in dieser Form vielleicht nicht wiederkommen.
Autor: Bernd Geiger
Bild Quelle: By Tasnim News Agency, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=119050719
Artikel veröffentlicht am: Sonntag, 29. Juni 2025