Israels neuer Gaza-Plan: Warum „Kleines Gaza“ für Hamas zum Albtraum werden soll
Die IDF will 75 % des Gazastreifens kontrollieren – und die Terroristen buchstäblich von der Bevölkerung abschneiden. Was steckt hinter dem geheimen Ziel von „Marchevot Gideon“?

Es ist ein Satz, der in Israels Sicherheitsapparat für Aufhorchen sorgt: „Wir wollen Gaza klein machen“. Damit meint ein hochrangiger Sicherheitsbeamter keinen geografischen Rückbau, sondern eine neue militärische Logik: Die Hamas soll am Ende des israelischen Militäreinsatzes nicht nur geschwächt, sondern komplett von ihrer Umgebung abgeschnitten sein. Der Anfang dieser Strategie hat einen Namen: Operation „Marchevot Gideon“ – Gideons Wagen.
Seit fünf Tagen läuft die neue Phase der Bodenoffensive. Und zum ersten Mal wird jetzt offiziell ausgesprochen, was sich hinter der neuen Denkweise verbirgt: Israel will nicht nur Räume einnehmen, sondern die gesamte militärische Kontrolle über drei Viertel des Gazastreifens etablieren – so, dass nur ein Viertel des Territoriums außerhalb des direkten israelischen Zugriffs bleibt. Der Begriff „Kleines Gaza“ ist dabei kein Euphemismus, sondern Strategie: Die territoriale Verkleinerung von Hamas‘ Bewegungsraum, ihrer Rückzugsorte, Nachschublinien und Bevölkerungsdeckung.
Hamas isolieren, nicht nur bekämpfen
Die neue Strategie setzt auf räumliche Trennung von Terroristen und Zivilbevölkerung. Dies soll erreicht werden durch sogenannte „Befragungs- und Kontrollpunkte“, die eine strikte Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten ermöglichen. Hamas-Kämpfer sollen künftig gezwungen sein, sich entweder offen zu zeigen – oder völlig vom zivilen Umfeld abgeschnitten zu agieren.
Ein Sicherheitsbeamter formuliert es drastisch: „Wir schaffen Filterstationen, um die Hamas aus der Bevölkerung herauszubrechen. Ohne Deckung, ohne Schutz, ohne Zugriff auf logistische Versorgung – das ist das Ziel.“
Eine Kampfzone ohne Bevölkerung
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die aktuelle militärische Karte, dass die IDF mittlerweile mehr als 50 Prozent des Gazastreifens kontrolliert. In vielen Teilen gibt es keinerlei zivile Präsenz mehr. Die verbliebenen Palästinenser halten sich in Städten wie Gaza-Stadt, Chan Junis, den Zentrallagern und dem Gebiet al-Mawasi auf. Der Norden ist weitgehend entvölkert – teils durch direkte militärische Räumungen, teils durch gezielte Warnungen.
So hat der arabischsprachige IDF-Sprecher Avichai Adraee am Donnerstag erneut zur dringenden Evakuierung mehrerer Bezirke im Norden aufgerufen, darunter das Flüchtlingslager Dschabalia und Beit Lahia. Die Formulierung in der Warnung war unmissverständlich: „Die Terrororganisationen setzen ihre Aktivitäten in Ihrer Umgebung fort. Daher wird die IDF ihre Operationen ausweiten – bis zur vollständigen Zerschlagung.“
Die Offensive ist also nicht länger punktuell, sondern auf flächendeckende territoriale Kontrolle ausgerichtet. Und das mit einem klaren politischen Ziel: Den Gegner zum ersten Mal nicht nur militärisch zu treffen, sondern strukturell zu entmachten.
Widerspruch zur Regierung?
Auffällig ist allerdings, dass die militärische Zielvorgabe von 75 % Kontrolle nicht der öffentlichen Linie von Premierminister Netanyahu entspricht. Noch vor wenigen Tagen erklärte er, das Ziel sei die „Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet des Gazastreifens“. Die Armee spricht nun aber offen von einer begrenzten territorialen Zielmarke. Es könnte ein Zeichen dafür sein, dass die militärische Führung in realistischeren Bahnen denkt als die politische.
Oder aber: Dass es sich um eine Übergangsstrategie handelt. Denn wer 75 % kontrolliert, dem fehlen nur noch 25 % zur vollständigen Einnahme. Die „Verkleinerung Gazas“ könnte somit der erste Schritt auf dem Weg zur vollständigen militärischen Kontrolle sein – Schritt für Schritt, aber unumkehrbar.
Drei Prinzipien der Offensive
Die IDF selbst definiert „Marchevot Gideon“ anhand von drei Grundsätzen:
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Operative Kontrolle etablieren: Geländegewinne nicht nur symbolisch, sondern strukturell sichern.
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Säuberung der Kampfzonen: Systematische Neutralisierung von Kämpfern und Infrastruktur.
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Lenkung der Bevölkerung: Schutz der Zivilisten durch gezielte Bewegungslenkung und Evakuierungen.
IDF-Sprecher Daniel Hagari betont: „Wir führen nicht wie früher punktuelle Operationen durch. Jetzt gehen wir in die Tiefe – mit dem Ziel, zu entscheiden.“
Das bedeutet auch: Massive Reservisteneinberufungen, eine langfristig angelegte Präsenz und die Bereitschaft, strategische Räume zu halten – nicht nur einzunehmen.
Die Uhr tickt für Hamas
Zugleich richtet sich der Ton gegenüber der Hamas deutlich. Generalstabschef Herzi Halevi betonte diese Woche, dass nur die Freilassung aller Geiseln zu einem Aufschub der Offensive führen könne. Alles andere werde mit „Feuerkraft und territorialer Einnahme“ beantwortet.
Soll heißen: Je länger die Hamas blockiert, desto kleiner wird ihr Gaza. Je weniger sie auf diplomatische Wege eingeht, desto näher rückt die vollständige Zerschlagung ihrer Infrastruktur.
In israelischen Sicherheitskreisen geht man davon aus, dass der psychologische Effekt des „Kleinen Gaza“ enorm ist: Die Hamas verliert nicht nur militärischen Einfluss, sondern auch ihre gesellschaftliche Basis, die sie über Jahre durch Angst und Almosen kontrolliert hat.
Mit „Marchevot Gideon“ betritt Israel strategisches Neuland. Es geht nicht mehr um punktuelle Rückschläge für den Terror, sondern um eine dauerhafte territoriale Verschiebung der Realität in Gaza. Die Hamas soll am Ende nicht nur schwächer sein – sie soll allein sein.
Ein Gaza ohne Hamas wäre für viele Israelis ein Traum. Ein Gaza mit einer in sich zusammengefallenen Hamas – das ist jetzt das Ziel.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: IDF
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 22. Mai 2025