Netanjahus neue Offensive in Gaza: „Gideon"s Chariots“ und das letzte Wort über die Geiseln
Erstmals seit Monaten spricht Israels Premier öffentlich – und erklärt seine neue Strategie in Gaza sowie die Realität der verbliebenen Geiseln

Fast fünf Monate war es still um ihn in der Öffentlichkeit, doch jetzt trat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit einem Knall zurück auf die Bühne. In einer viel beachteten Pressekonferenz kündigte er nicht nur eine neue, mehrstufige Militäroperation in Gaza an, sondern sprach auch erstmals öffentlich über die Zahl der noch lebenden israelischen Geiseln – und ließ damit Hoffnungen platzen.
Laut Netanjahu befinden sich aktuell noch 20 Geiseln lebend in den Händen der Hamas. Zuvor war von bis zu 24 Überlebenden die Rede gewesen, doch der Premier machte mit kühler Klarheit deutlich: „Israel hat 148 Geiseln lebend zurückgebracht – 20 leben noch in Gaza.“ Eine Zahl, die im Land tiefe Erschütterung auslöste. Insbesondere die ungewisse Lage von drei Personen – ein israelischer und zwei ausländische Staatsbürger – sorgt in Regierungskreisen für akute Sorge. Ihre Schicksale sind unklar, die Verhandlungen stagnieren.
Gleichzeitig legte Netanjahu einen neuen militärischen Masterplan für den Gazastreifen vor, der in drei Phasen ablaufen soll und den Titel „Gideon's Chariots“ trägt – eine symbolträchtige Anspielung auf einen biblischen Kriegsherrn, aber auch eine Kampfansage an die Hamas und ihre Unterstützer.
Phase 1: Die israelische Armee soll die kontrollierte Einfuhr humanitärer Hilfsgüter nach Gaza ermöglichen, um internationale Kritik an einer möglichen humanitären Katastrophe zu dämpfen. Netanjahu betonte: „Wir stellen sicher, dass keine humanitäre Krise eintritt.“
Phase 2: Amerikanische Firmen sollen logistische Knotenpunkte für die Verteilung der Hilfe einrichten. Diese Internationalisierung der Versorgung dient nicht nur der Effizienz – sie gibt Israel auch diplomatische Rückendeckung.
Phase 3: Die IDF wird die Bevölkerung Gazas systematisch in den Süden verlagern. Der Grund: Man will die Hamas isolieren und verhindern, dass sie sich inmitten von Zivilisten neu formiert. Die Idee ist brisant – denn sie bedeutet de facto eine neue innerpalästinensische Grenzziehung.
Doch Netanjahu sprach nicht nur über Gaza. Auch der Libanon war Thema – und hier wurde der Ton noch schärfer. „Wir erzwingen die Waffenruhe im Norden mit eiserner Faust“, sagte er. Die Operationen der IDF hätten laut seiner Aussage „zum Sturz des Assad-Regimes in Syrien beigetragen“ – eine Formulierung, die Beobachter aufhorchen ließ, denn sie markiert eine neue rhetorische Eskalation gegenüber Damaskus und Teheran.
Inmitten dieser Worte steht das Schicksal der Geiseln wie ein Schatten über allem. Die Familien der Vermissten kämpfen seit Monaten für mehr Transparenz, mehr Engagement, mehr Resultate. Die Zahlen, die Netanjahu nun vorlegte, wirken wie ein Offenbarungseid – das Eingeständnis, dass viele Hoffnungen sich nicht erfüllen werden.
Parallel dazu bleibt der Druck aus der internationalen Gemeinschaft groß. In den Lagern von Jabalia, im Norden Gazas, warten Tausende auf Lebensmittel von UNRWA. Bilder von Kindern vor leeren Verteilzentren werden weltweit verbreitet – und sollen Israels Ansehen beschädigen. Doch die Regierung in Jerusalem kalkuliert das offenbar bewusst mit ein.
Währenddessen wird in Beirut taktiert: Der Besuch von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas beim libanesischen Präsidenten Joseph Aoun ist mehr als nur ein diplomatischer Höflichkeitsakt. Die gemeinsame Erklärung der beiden, wonach „Waffen ausschließlich in den Händen der libanesischen Armee“ sein sollen, zeigt: Auch in den palästinensischen Flüchtlingslagern des Libanon brodelt es – und Abbas versucht offenbar, einer neuen Front zuvorzukommen.
Der Versuch, die Bewaffnung der Fatah-Milizen zu regulieren, ist ein Signal an die Hisbollah, aber auch an Israel. Doch in Jerusalem dürfte man sich keine Illusionen machen: Weder Abbas noch Aoun haben die Macht, in den Lagern von Sidon oder Tyros tatsächliche Kontrolle auszuüben.
Zurück in Israel fragt sich die Öffentlichkeit derweil, ob „Gideon's Chariots“ mehr ist als ein martialischer Name. Die Ziele – militärisch wie humanitär – sind ehrgeizig. Doch das Vertrauen in Netanjahu ist angeschlagen. Der Premier mag die Richtung vorgeben, aber die Realität vor Ort entscheidet darüber, ob Israel das Steuer in Gaza und im Norden tatsächlich in der Hand hält.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 22. Mai 2025