Israels politischer Zank um Gaza: Hilfe für Hamas oder humanitäre Notwendigkeit?


Die einen sprechen von einem gefährlichen Fehler, die anderen von einer „fast selbstverständlichen Entscheidung“. In der israelischen Politik fliegen wieder die Fetzen – diesmal wegen der humanitären Hilfe für den Gazastreifen.

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In Jerusalem geraten die Fronten ins Wanken – nicht zwischen Regierung und Opposition, sondern quer durch das politische Spektrum. Der Anlass: Die Entscheidung, erneut humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. Während Premierminister Benjamin Netanjahu weiter schweigt, sprechen seine politischen Partner – und Gegner – umso lauter. Was zunächst wie eine pragmatische Maßnahme wirken mag, entpuppt sich in der Knesset als hochexplosives Politikum. Wer Israel wirklich dient, wer den Terror stärkt, und wer schlicht um sein politisches Überleben kämpft – all das mischt sich in diesen Stunden zu einem toxischen Cocktail aus Ideologie, Taktik und Verantwortungslosigkeit.

Avigdor Lieberman, Vorsitzender von Jisrael Beitenu, formulierte es unverblümt: „Auch wenn man ihm die Klagemauer zurückgibt, wird Smotrich weiter an seinem Stuhl kleben und behaupten, das sei ein Schritt zur Zerschlagung der Hamas.“ Seine Worte zielten auf Finanzminister Bezalel Smotrich, der trotz Zustimmung zur Hilfe stets beteuert, es gebe Mechanismen, die sicherstellen, dass nichts bei der Hamas lande. Für Lieberman ist das „ein reines Lügenkonstrukt“, das nur einem Zweck diene: die Öffentlichkeit zu täuschen. Mit sarkastischem Unterton erklärte er, dass die Regierung weiterhin in der „Konzeption vom 6. Oktober“ gefangen sei – blind für die Realität nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober.

Lieberman will mehr: einen gemeinsamen Vorstoß aller zionistischen Parteien außerhalb der Koalition zur Reform des Wehrdienstes. In seinem Schreiben an die Parteivorsitzenden forderte er ein „einheitliches Wehrpflichtgesetz“, das den sicherheitspolitischen Herausforderungen des Landes gerecht werde. Dabei geht es auch um den tiefen Frust über die politische Taktiererei rund um das Thema – ein Frust, der quer durch die israelische Gesellschaft geht.

Auf der anderen Seite der politischen Skala wiederholte Oppositionsführer Yair Lapid seine altbekannte Forderung: Ägypten solle die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen – für mindestens 15 Jahre. Israel, so Lapid, solle zusammen mit den USA diesen Plan umsetzen. Es sei keine perfekte Lösung, aber die „beste unter den schlechten“. Ägypten habe bereits Erfahrung im Umgang mit islamistischen Terrorgruppen, könne mit Israel sicherheitskooperieren und kenne die Dynamik in Gaza. Für Lapid ist die momentane israelische Strategie nichts anderes als ein „strategischer Irrweg“, der das Land militärisch, wirtschaftlich und politisch ausbluten lasse.

Zur aktuellen Hilfslieferung sagte Lapid: „Es ist die richtige Entscheidung. Es ist fast selbstverständlich.“ Allerdings sei es unerlässlich, dafür zu sorgen, dass die Güter nicht in die Hände der Hamas fallen. Doch selbst er räumt ein: Solange es keine alternative Regierung in Gaza gebe, werde die Hamas immer Wege finden, von der Hilfe zu profitieren.

Am entschiedensten äußerte sich jedoch Itamar Ben Gvir, Minister für Nationale Sicherheit und Chef der Partei Otzma Yehudit. Für ihn ist die Entscheidung nichts anderes als ein „verdeckter Putsch gegen die Sicherheit Israels“. In gewohnt drastischer Rhetorik erklärte er: „Die Hilfe wird bei der Hamas landen. Punkt.“ Dass seine Forderung nach einer Abstimmung über die Entscheidung ignoriert wurde, wertet er als Beweis dafür, dass die Regierung wusste, sie würde bei einer offenen Debatte verlieren. Ben Gvir warnte eindringlich, dass jede Hilfslieferung „den Feinden Israels Sauerstoff liefert“ – mit möglicherweise tödlichen Konsequenzen für Israels Soldaten.

In diese hitzige Debatte schaltete sich auch Yair Golan von der neuen Partei „HaDemokrati’im“ ein. Er machte keinen Hehl daraus, dass für ihn der Hauptverantwortliche Netanjahu selbst ist: „Er handelt aus anti-menschlichen und anti-zionistischen Motiven. Es geht ihm nur ums politische Überleben.“ Golan glaubt, dass die Geiseln in Gaza freigelassen werden könnten – wenn man sich nur zu einem ernsthaften politischen Kurswechsel durchringen würde. Doch genau diesen verhindere Netanjahu bewusst. Für Golan ist klar: Ein regionales Abkommen könnte die Hamas stürzen. Aber „wer das sabotiert, ist der Premier selbst“.

Was also bleibt nach einem weiteren Tag politischer Kämpfe in der Knesset? Gewissheit vor allem darüber, dass Israels Führung tief gespalten ist – nicht nur ideologisch, sondern auch in der Einschätzung, wie Terror, Menschlichkeit und Strategie miteinander vereinbar sein können. Jeder Akteur scheint sich als Verteidiger der nationalen Interessen zu inszenieren – und doch wirft jeder dem anderen vor, das Land zu verraten. Wer letztlich Recht behält, wird nicht im Plenarsaal entschieden, sondern auf den Straßen Gazas – und im Herzen der israelischen Gesellschaft.

Autor: Redaktion
Bild Quelle: By המכללה האקדמית ספיר - המכללה האקדמית ספיר, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47817018

Artikel veröffentlicht am: Dienstag, 20. Mai 2025

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