Netanjahus Alleingang: Warum Israel wieder humanitäre Hilfe nach Gaza lässt – und was das für die Geiseln bedeutet


Ohne Abstimmung, gegen interne Kritik: Israels Sicherheitskabinett genehmigt neue Hilfslieferungen nach Gaza. Doch was bringt Essen, wenn keine Geisel freikommt?

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Inmitten massiver Militäraktionen und wachsendem innenpolitischem Druck hat Israels Sicherheitskabinett am Sonntagabend die Wiederaufnahme humanitärer Hilfe für den Gazastreifen beschlossen – ohne offizielle Abstimmung. Der Schritt sorgt für heftige Spannungen in der Regierung und lässt viele in Israel fassungslos zurück. Denn: Während Konvois wieder rollen, bleiben 58 Geiseln in der Gewalt der Hamas – ohne Aussicht auf Freilassung.

Minister wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir protestierten vehement gegen die Entscheidung, die in einer nächtlichen Sitzung des Kabinetts gefallen sein soll – ohne förmliches Votum. Besonders brisant: Die Hilfsgüter sollen nicht nur im Süden des Gazastreifens verteilt werden, sondern – zumindest für eine Woche – auch in anderen Regionen. Das war offenbar nicht allen Ministern vorher klar. Ben-Gvir forderte daraufhin eine Abstimmung – Premierminister Netanjahu verweigerte sie.

Offiziell heißt es aus dem Büro des Premierministers, man handle auf Empfehlung der israelischen Armee. Ziel sei es, eine Hungersnot zu verhindern, die „die Fortsetzung der Operation ‚Gideons Wagen‘ gegen die Hamas gefährden“ könne. Auch solle die Verteilung so organisiert werden, dass die Hamas keinen Zugriff auf die Lieferungen erhält. Ob das gelingt, bleibt fraglich – und viele in Israel halten das für eine Illusion.

Ben-Gvir reagierte empört auf X/Twitter: „Herr Premierminister, für unsere Geiseln gibt es keine humanitäre Hilfe.“ Er hatte bereits zuvor betont, dass es keine Lösung geben dürfe, die den Krieg beende, ohne Hamas vollständig zu zerschlagen. Smotrich äußerte sich ähnlich – und auch andere Minister sehen in der Maßnahme ein gefährliches Signal der Schwäche.

Verwirrung herrscht auch über die genaue Umsetzung. Zwei hochrangige Regierungsvertreter gaben an, die Hilfe werde zunächst über internationale Organisationen abgewickelt, bis am 24. Mai ein neues Verteilungssystem in Kraft tritt. Andere Regierungsstellen widersprachen dem – es werde nichts über bestehende Mechanismen geliefert, sondern ausschließlich über das neue System. Fakt ist: Am Grenzübergang Kerem Shalom fuhren bereits palästinensische LKW mit Hilfsgütern ein.

Für viele Familien von Geiseln ist das ein Schlag ins Gesicht. Nach Monaten des Wartens, Hoffens, Bangens und Protestierens erleben sie nun, dass Israel bereit ist, Nahrungsmittel in ein Gebiet zu liefern, in dem ihre Angehörigen unter der Erde gefangen gehalten, misshandelt oder bereits ermordet wurden – ohne jede Gegenleistung. Kein Deal, keine Liste mit Lebenszeichen, keine Freilassungen.

Das moralische Dilemma ist offenkundig. Israel will den humanitären Kollaps in Gaza vermeiden – auch um den militärischen Druck auf die Hamas aufrechtzuerhalten. Doch zugleich droht die humanitäre Hilfe genau jenen Kräften indirekt in die Hände zu spielen, gegen die das Land kämpft. Und sie sendet ein fatales Signal: Wer Geiseln hält, kann auf internationale Hilfe bauen – selbst ohne Kompromiss.

In der israelischen Öffentlichkeit wächst der Unmut. Proteste vor dem Amtssitz des Premierministers nehmen zu. „Unsere Kinder hungern in den Tunneln, aber wir liefern Essen an ihre Entführer?“, fragte eine wütende Mutter am Sonntagabend. Die Stimmung kippt – und das Vertrauen in die Führung mit ihr.

Die Entscheidung, Hilfe zu liefern, ohne Gegenleistung zu fordern, mag militärisch taktisch begründet sein. Doch sie offenbart zugleich eine strategische Schwäche: Wer nicht bereit ist, klare Bedingungen zu stellen, verliert die Kontrolle über den moralischen Rahmen des eigenen Handelns. Die Hamas, die vom Westen als Terrororganisation eingestuft wird, hält Israels Bürger gefangen – und bekommt nun, ohne jede Konzession, einen erneuten Rettungsanker.

Autor: Redaktion

Artikel veröffentlicht am: Montag, 19. Mai 2025

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