Wie Georgien binnen Monaten zur autoritären Einflusszone Russlands, Irans und Chinas wurde
Zwei Jahrzehnte Hoffnung – ausgelöscht in einem Jahr: Die kleine Kaukasusrepublik Georgien ist unter der Herrschaft eines russlandnahen Oligarchen zur Spielwiese autoritärer Regime geworden. Der Westen schaut weitgehend tatenlos zu, während China Kameras installiert, der Iran Ölgeschäfte macht und Russland Einfluss gewinnt. Die Demokratie? Erstickt – unter Applaus in Moskau und Schweigen in Brüssel.

Vor nicht allzu langer Zeit galt Georgien als demokratischer Hoffnungsträger im postsowjetischen Raum. Die Justiz wurde reformiert, Korruption bekämpft, westliche Investitionen flossen, und das Land suchte – mit sichtbarer Entschlossenheit – den Anschluss an die EU und die NATO. Georgien war Partner der USA, Unterstützer der Koalition in Afghanistan, ein Modell für eine moderne, offene Gesellschaft im Schatten des russischen Imperiums.
Diese Zeit ist vorbei.
Was sich in den vergangenen Monaten in Georgien vollzogen hat, ist mehr als ein demokratischer Rückschritt. Es ist eine tektonische Verschiebung, ein strategischer Umbau des Staates von innen heraus – gesteuert von einem Mann, der offiziell kein Amt bekleidet, aber alle Fäden in der Hand hält: dem Oligarchen Bidzina Iwanischwili.
Die unsichtbare Hand: Wie ein Milliardär Georgien kaperte
Iwanischwili ist kein Unbekannter. In Russland reich geworden, kehrte er nach Georgien zurück, gründete die Partei „Georgischer Traum“ – und wurde Ministerpräsident. Doch selbst nach seinem Rücktritt zog er im Hintergrund weiter die Strippen. Heute kontrolliert er Regierung, Justiz, Polizei und Medien. Kritiker sprechen offen von einer Schattenregierung, von einem System, das nur vordergründig demokratisch erscheint.
Seit den letzten Wahlen Ende 2024 geht seine Partei mit brutaler Entschlossenheit gegen Oppositionelle, Aktivistinnen und Journalisten vor. Menschenrechtsorganisationen berichten von über 60 politischen Gefangenen, systematischer Überwachung und Folter. Proteste gegen das sogenannte „Agentengesetz“, das ausländisch unterstützte NGOs kriminalisiert, wurden mit Gewalt niedergeschlagen.
China installiert Kameras, Iran liefert Öl – und Europa schweigt
Während die Bevölkerung auf die Straße geht und mit EU-Fahnen demonstriert, wendet sich die Regierung konsequent von Europa ab. Der EU-Beitrittsprozess wurde einseitig ausgesetzt, das tiefgreifende Assoziierungsabkommen liegt faktisch auf Eis. Stattdessen wuchsen in Windeseile neue Allianzen – mit autoritären Mächten.
Die Volksrepublik China nutzt die Instabilität, um ihren Einfluss auszuweiten. Ein geplanter Seehafen, ursprünglich ein Gemeinschaftsprojekt mit westlichen Investoren, wurde kurzerhand chinesischen Staatskonzernen übergeben – Firmen, die in den USA unter Sanktionen stehen. Gleichzeitig importierte die georgische Regierung Überwachungstechnologie aus Peking und setzte Gesichtserkennungssysteme gegen regierungskritische Demonstranten ein.
Auch der Iran erkennt seine Chance. Premierminister Irakli Kobachidse reiste zu zwei hochrangigen Terminen nach Teheran: zur Beerdigung von Präsident Raisi und zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Pezeshkian – Seite an Seite mit Hamas- und Hisbollah-Führern. Laut unabhängigen Recherchen dienen georgische Firmen inzwischen systematisch dem Zweck, iranische Sanktionen zu unterlaufen. Öl und petrochemische Produkte fließen – ebenso wie iranische Revolutionsgarden, die in Tiflis ungestört wirtschaften.
Der Westen reagiert – zögerlich
Die USA versuchen, gegenzusteuern. Bereits im Dezember 2024 verhängten sie persönliche Sanktionen gegen Iwanischwili – ein drastischer Schritt, der das Ausmaß der georgischen Abkehr verdeutlicht. Im Kongress wird derzeit der „Megobari Act“ vorbereitet, benannt nach dem georgischen Wort für „Freund“. Er sieht gezielte Sanktionen gegen korrupte Beamte, Wahlfälscher und Menschenrechtsverletzer vor.
Doch Washington steht isoliert da. Die EU, gespalten und abgelenkt, beschränkt sich auf diplomatische Floskeln. Die Rede des Europaparlaments, das die jüngsten Wahlen als „Wendepunkt in Richtung Autokratie“ bezeichnete, bleibt folgenlos. Brüssel wirkt erschöpft – und überfordert.
Zersplitterte Opposition – und ein Volk im Ausnahmezustand
Während auf den Straßen täglich Tausende protestieren – mittlerweile seit über 200 Tagen – ringt die Opposition um eine gemeinsame Strategie. Der frühere Premier Giori Gacharia, einer der wenigen mit internationalem Ansehen, wurde unter dem Vorwurf des Hochverrats ins Exil gezwungen. Andere wurden verhaftet, eingeschüchtert oder politisch vernichtet.
Dennoch hält der Widerstand an – mit Fahnen, Plakaten und der Hoffnung auf einen Wandel. Viele der Demonstranten sind jung, europäisch orientiert, bereit, für Freiheit und Unabhängigkeit zu kämpfen. Sie wissen: Wenn Georgien jetzt fällt, ist die Rückkehr zur Demokratie für eine Generation verloren.
Georgien als Testfall – und Weckruf für Europa
Der Fall Georgiens ist kein regionales Problem. Er zeigt, wie autoritäre Regime strategische Instabilität nutzen, um Demokratien zu zersetzen – von innen. Mit Geld, Propaganda, Infrastrukturprojekten und gezieltem Lobbyismus. Russland, China und Iran agieren dabei nicht isoliert, sondern koordiniert.
Was sich heute in Tiflis abspielt, könnte morgen in Moldau, Serbien oder Armenien geschehen. Georgien war ein Testfall – ein Land, das offen für Europa war. Dass es heute auf dem Weg in ein autoritäres Bündnissystem ist, sollte Europa wachrütteln. Noch ist es nicht zu spät.
Aber wer die Hoffnung aufgibt, dass sich die Demokratie behaupten kann, der überlässt das Feld den Feinden der Freiheit.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: By Jelger Groeneveld - https://www.flickr.com/photos/34523388@N06/54101212675/, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=155093473
Artikel veröffentlicht am: Donnerstag, 17. Juli 2025