Pflichtunterricht über den Holocaust – ein notwendiger Weckruf für Großbritannien
Nach dem 7. Oktober schwappt eine antisemitische Welle durch britische Schulen. Die Bildungsministerin schlägt Alarm – und fordert, was längst selbstverständlich sein sollte.

Großbritanniens Bildungsministerin Bridget Phillipson bringt auf den Punkt, was viele lange ignoriert haben: Der dramatische Anstieg antisemitischer Vorfälle an britischen Schulen ist kein Randphänomen mehr – es ist ein „nationaler Notstand“. In einem Interview mit der Times kündigte sie an, den Holocaust-Unterricht an allen Schulen Englands verpflichtend zu machen. Eine längst überfällige Maßnahme, denn die erschreckenden Zahlen der Community Security Trust (CST) sprechen für sich: Seit dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten am 7. Oktober hat sich die Zahl antisemitischer Vorfälle an Schulen verfünffacht. Allein 2023 wurden 335 Fälle gemeldet – mehr als dreimal so viele wie noch 2022.
Phillipson ist nicht die Erste, die vor dieser Entwicklung warnt. Doch sie spricht endlich Klartext: „Die Lektionen der Geschichte werden von einer wachsenden Zahl junger Menschen vergessen.“ Es reicht eben nicht, einmal im Geschichtsunterricht Auschwitz zu erwähnen, wenn gleichzeitig TikTok-Videos mit antisemitischer Propaganda millionenfach geklickt werden und auf Schulhöfen „From the river to the sea“ skandiert wird – ein Aufruf zur Auslöschung Israels.
Zwar ist der Holocaust bereits seit 1991 offizieller Bestandteil des britischen Lehrplans für 11- bis 14-Jährige. Doch der Haken: Fast 80 Prozent der weiterführenden Schulen in England sind sogenannte „Academies“ – und diese sind nicht verpflichtet, dem nationalen Curriculum zu folgen. Noch gravierender ist die Situation in Wales, Schottland und Nordirland, wo Holocaust-Erziehung überhaupt nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Eine Lücke, die nun durch neue Gesetzesinitiativen geschlossen werden soll. Phillipson fordert, dass künftig jede Schule – unabhängig von ihrer Trägerschaft – zur Vermittlung dieser zentralen historischen Verantwortung verpflichtet wird.
Die Notwendigkeit zeigt sich nicht nur in den Vorfällen, sondern auch in der beunruhigenden Unwissenheit junger Menschen. Eine aktuelle Studie der Claims Conference ergab, dass ein Drittel der Briten im Alter zwischen 18 und 29 Jahren keinen einzigen Namen eines nationalsozialistischen Konzentrations- oder Vernichtungslagers kennt. Es ist ein katastrophaler Befund – nicht nur für das kollektive Gedächtnis Europas, sondern auch für die Zukunft unserer Demokratien. Denn wo das Wissen über die Vergangenheit schwindet, kehren ihre dunkelsten Kapitel oft schneller zurück, als wir glauben.
Dabei geht es nicht nur um historische Fakten, sondern um das Fundament unserer Werte. Wer nicht weiß, wohin Hass und Entmenschlichung führen, wird auch im Heute anfälliger für Antisemitismus – sei es in Form von „Israelkritik“, Holocaustrelativierung oder offener Hetze. Der Kampf gegen Antisemitismus beginnt nicht an den Universitäten oder auf der Straße – er beginnt im Klassenzimmer.
Phillipsons Initiative verdient breite Unterstützung. Sie ist ein klares Signal: Bildung ist die stärkste Waffe gegen das Vergessen, gegen Gleichgültigkeit, gegen Hass. Der Holocaust darf keine Fußnote des Geschichtsunterrichts sein – er ist der Prüfstein unserer Zivilisation. Wer die Namen der Lager nicht kennt, wird auch die Zeichen der Wiederholung nicht erkennen.
Autor: Redaktion
Artikel veröffentlicht am: Sonntag, 11. Mai 2025